- Spanische Patient:innen stecken seit Jahren in einem unangenehmen Paradoxon fest: Das Land ist einer der größten Produzenten von medizinischem Cannabis weltweit, doch die Betroffenen haben nach wie vor keinen legalen Zugang zur Pflanze oder ihren Zubereitungen.
- Ein scheinbarer Widerspruch, der für jene, die dieses therapeutische Werkzeug im Alltag benötigen, schwer zu ertragen ist.
In den letzten Monaten hat die Debatte mit der Veröffentlichung eines Entwurfs für ein königliches Dekret des Gesundheitsministeriums einen weiteren Schritt nach vorn gemacht, der endlich einen regulatorischen Rahmen vorsieht. Die Frage liegt auf der Hand: Stehen wir in Spanien tatsächlich kurz vor der Legalisierung von medizinischem Cannabis – oder bleibt alles beim „fast, aber doch nicht"?
Was erlaubt das spanische Recht heute in Bezug auf medizinisches Cannabis?
So erstaunlich es angesichts der regulatorischen Fortschritte in Europa auch klingen mag – in Spanien gibt es bis heute kein allgemeines Gesetz für medizinisches Cannabis. Der therapeutische Gebrauch der Pflanze ist, wie in vielen anderen europäischen oder internationalen Ländern, nicht reguliert.
Es gibt lediglich zwei zugelassene Medikamente:
- Sativex, ein Spray mit THC und CBD zur Behandlung von Spastiken bei Patient:innen mit Multipler Sklerose.
- Epidyolex, eine orale Cannabidiol-Lösung, zugelassen bei therapieresistenter Epilepsie in Syndromen wie z.B. dem Lennox-Gastaut oder Dravet-Syndrom..
Beide sind von der Spanischen Arzneimittel- und Gesundheitsprodukte-Agentur (AEMPS) zugelassen und rezeptpflichtig. Doch ihr Zugang ist teuer, streng begrenzt und nur auf bestimmte Fälle beschränkt.
Parallel dazu vergibt die AEMPS Anbaulizenzen für medizinisches Cannabis in Spanien – allerdings geht der Großteil der Produktion in den Export oder in Forschungsprojekte, nicht jedoch auf den heimischen Markt. Mit anderen Worten: Es werden Tonnen von Cannabis nach pharmazeutischen Standards angebaut, aber spanische Patient:innen profitieren davon kaum.
Der Entwurf des Königlichen Dekrets: Eine Regulierung in Sicht
Die seit Jahrzehnten erwartete große Veränderung kam 2024, als das Gesundheitsministerium einen Entwurf für ein Königliches Dekret in die öffentliche Konsultation gab. Ziel: die Regulierung sogenannter typisierter magistraler Rezepturen auf Basis standardisierter Cannabiszubereitungen.
Konkret bedeutet das die Legalisierung von pharmazeutischen Präparaten aus Cannabis, die verschrieben und in Krankenhäusern abgegeben werden könnten. Laut Entwurf wären diese für einen sehr engen Kreis von Indikationen vorgesehen:
- schwere therapieresistente Epilepsie
- Spastiken bei Multipler Sklerose
- Übelkeit und Erbrechen infolge von Chemotherapie
- chronische Schmerzen (wenn herkömmliche Therapien nicht wirken)
Im geplanten Rechtsrahmen dürften ausschließlich Fachärzt:innen diese Präparate verschreiben, und die Abgabe würde ausschließlich über Krankenhausapotheken erfolgen.
Chronologie des Entwurfs: Vom Papier ins Gesetzbuch (und was noch aussteht)
Viele fragen sich, wie weit dieser junge Rechtsrahmen tatsächlich gediehen ist. Hier eine Übersicht der bisherigen Schritte:
Bisherige Etappen:
- Öffentliche Konsultation (Februar–März 2024): Stellungnahmen von Patient:innen, Ärzt:innen, autonomen Regionen und Verbänden.
- Veröffentlichung des Entwurfs (September–Oktober 2024): Am 30. September wurde der Entwurf publiziert, drei Wochen lang konnten Einwände eingereicht werden.
- Europäische Prüfung (Januar–April 2025): Prüfung durch die EU-Kommission, keine Blockaden.
- Überprüfung im Staatsrat (September 2025): Am 18. September überprüfte der Staatsrat den Text und gab Stellungnahmen zurück.
Wo stehen wir heute?
Der Entwurf hat Bürgerbeteiligung, europäische Prüfung und Gutachten des Staatsrats durchlaufen. Er ist ausgereift und bereit zur Verabschiedung. Noch fehlende Schritte:
- Grünes Licht im Ministerrat
- Veröffentlichung im BOE (spanisches Amtsblatt)
- Offizielle Monographien der AEMPS
Die offenen Lücken
So historisch der Schritt auch ist – Patient:innenverbände und Aktivist:innen kritisieren folgende Punkte:
- Vertrieb getrockneter Blüten bleibt ausgeschlossen
- Kein Eigenanbau zu therapeutischen Zwecken
- Unklare Kostenübernahme durch die staatliche Krankenversicherung
- Unklare Kapazität von Krankenhäusern und Laboren
Europa: Der Spiegel, in den Spanien blicken sollte
Der Vergleich mit anderen europäischen Ländern wird immer deutlicher. Deutschland hat seit 2017 eine Regulierung, die Ärzt:innen erlaubt, Cannabis in unterschiedlichen Formen – einschließlich Blüten – zu verschreiben, inklusive Kostenübernahme der Krankenkassen. Portugal ermöglicht ebenfalls den Zugang zu standardisierten Präparaten, während im Vereinigten Königreich Verschreibungen zwar möglich sind, in der Praxis jedoch selten erfolgen.
Spanien hinkt so stark hinterher, dass andere Länder wie Deutschland, Malta oder Tschechien bereits zur Legalisierung des Freizeitgebrauchs übergehen. Hinzu kommt der internationale Druck: Sowohl die UN als auch die WHO haben in den letzten Jahren die therapeutischen Anwendungen von Cannabis anerkannt.
Auswirkungen für Patient:innen Bis heute sind viele Patient:innen auf den Schwarzmarkt oder Cannabis-Social-Clubs angewiesen – Produkte ohne Qualitätsgarantie und ohne ärztliche Begleitung. Mit dem Königlichen Dekret könnten einige von ihnen künftig regulierte Präparate erhalten – allerdings nur in Krankenhäusern und unter strengen Bedingungen.
Der Rest bliebe weiterhin in einer rechtlichen Grauzone und müsste auf inoffizielle Wege zurückgreifen. Die Patient:innenkollektive sind sich einig: Sie begrüßen diesen ersten Schritt, bestehen aber darauf, dass die Regulierung breiter, inklusiver und zugänglicher sein muss. Denn die tatsächlichen Bedürfnisse beschränken sich nicht auf vier Indikationen und ein einziges Konsumformat.
Spanien steht an einem entscheidenden Punkt: Mit dem Entwurf des Königlichen Dekrets verpflichtet sich der Staat zum ersten Mal, den medizinischen Cannabiskonsum landesweit zu regulieren. Doch bis zu einer umfassenden Regelung ist es noch ein weiter Weg. Die Herausforderung der kommenden Jahre wird sein, diesen Rahmen schrittweise zu einem gerechteren, wirksameren und wissenschaftlich fundierten Modell auszubauen.
Aktualisierung (7. Oktober 2025): Zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Artikels war das Gesetz zur Regulierung des medizinischen Cannabisgebrauchs in Spanien noch nicht vom Ministerrat genehmigt worden. Am Dienstag, den 7. Oktober, hat die Regierung jedoch die Legalisierung offiziell beschlossen – ein historischer Meilenstein für den regulierten Zugang zu Cannabis-basierten Behandlungen im Land.

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