Francia Bandera Cannabis

Cannabislegalisierung in Frankreich – eine brandaktuelle Debatte

  • Am 20. Juni wurde der Nationalversammlung ein Gesetzentwurf über die Cannabislegalisierung unter staatlichem Monopol vorgelegt, am 19. Juni in der Zeitschrift L'OBS ein von 70 bekannten Franzosen – darunter Politiker, Ärzte und Ökonomen – unterzeichneter Aufruf zur Marihuana-Legalisierung veröffentlicht, am 11. Juli seitens der Nationalen Agentur für die Sicherheit von Arzneimitteln und Gesundheitsprodukten grünes Licht für die die experimentelle Zulassung von Medizinalhanf gegeben, und vom 8. bis 11. Juli tagte angeblich der Pariser Stadtrat über eine potenzielle Regulierung des Genussmittelkonsums für Erwachsene …
  • Bislang ist man in Frankreich noch nicht über den Debattenstatus hinaus, was Cannabis angeht. Nur die Arzneimittelagentur hat die erste Beratungsphase bereits überwunden, hat sie sich doch am 11. Juli verpflichtet, gemeinsam mit den zuständigen Institutionen die notwendigen Schritte in die Wege zu leiten, damit die französischen Ärzte noch vor Ende des Jahres Cannabinoide verschreiben dürfen. Sie folgt damit den Empfehlungen des Comité Scientifique Spécialisé Temporaire (CSST), einem Ende 2017 gegründeten wissenschaftlichen Spezialausschuss, der die Vorteile und Risiken der Regulierung von therapeutischem Cannabis in Frankreich untersucht.
  • Ist die Debatte um eine Cannabislegalisierung in Frankreich diesen Sommer ganz besonders intensiv? In diesem Post fassen wir die Cannabis-Nachrichten der Sommermonate aus dem Hexagone für euch zusammen – urteilt selbst!
Francia Bandera Cannabis

Das Thema Cannabislegalisierung war diesen Sommer überall in den französischen Zeitungen, Radios und Fernsehern. Einerseits hatte der Abgeordnete François Michel-Lambert von der Partei UDE (Union des démocrates et des écologistes) bei der Nationalversammlung einen Gesetzentwurf zur Cannabislegalisierung eingereicht, bei dem die Kontrolle von Produktion, Verkauf und Konsum einer neuen Institution unterstellt wird, der SECA (Société d'exploitation du cannabis)). Die Nationale Agentur für die Sicherheit von Arzneimitteln und Gesundheitsprodukten (Frz.: Agence nationale de sécurité du médicament et des produits de santé, ANSM) wiederum hat bekanntgegeben, dass sie zusammen mit dem Gesundheitsministerium ein Pilotprojekt zur Einführung von therapeutischem Cannabis starten wird. Außerdem haben wichtige französische Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Medizin, die zum Conseil d'Analyse Economique (Dt.: Rat für Wirtschaftsanalyse) des Premierministers gehören, ein in L'OBS veröffentlichtes Manifest unterzeichnet, in dem sie die Legalisierung von Cannabis fordern.

Fakt 1 – Der einzige verbindliche Schritt. Medizinalhanf in Frankreich: Ja, aber nur versuchsweise

Im September 2018 hat die Nationale Agentur für die Sicherheit von Arzneimitteln und Gesundheitsprodukten (ANSM) ein Expertenkomitee benannt, das den therapeutischen Wert von Cannabis untersuchen und neben dessen medizinischen Eigenschaften die Frage diskutieren sollte, ob eine Zulassung für therapeutische Zwecke in Frankreich notwendig ist. Fast ein Jahr später folgt die Agentur den Empfehlungen des Ausschusses: Sie wird fortan bestimmten Patienten Zugang zu therapeutischem Cannabis gewähren und mit den zuständigen Staatsorganen an der Entwicklung eines Rechtsrahmens für die experimentelle Cannabisausgabe in Frankreich zusammenarbeiten.

Agencia Nacional Medicamento Francia Cannabis Experimental Julio 2019

Das eigens für dieses Thema gegründete Comité Scientifique Spécialisé Temporaire hatte die Verwendung von Cannabis für bestimmte Patientengruppen mehrfach untersucht und dreifach getagt. Fachkräfte, u. a. aus dem Bereich Pharmakologie, Neurologie, Onkologie und Schmerzbehandlung, hatten während dieser drei Sitzungen alle Vor- und Nachteile der Nutzung von Cannabinoiden für bestimmte Behandlungen diskutiert und der ANSM anschließend jedes Mal einen Bericht mit ihren Schlussfolgerungen vorgelegt, die immer zugunsten der Verschreibung von Cannabis ausfielen. Die Agentur hatte diese Empfehlungen zwar zur Kenntnis genommen, jedoch zunächst nichts unternommen. Im Juli 2019 gab sie nun jedoch bekannt, dass ein experimentelles Medizinalhanf-Pilotprojekt in Gang gesetzt wird.

Bereits im Dezember 2018 hatten die Experten sich, wie gesagt, für die Nutzung von Cannabis in bestimmten Fällen ausgesprochen, und hierfür ein System zur ärztlichen Begleitung der betroffenen Patienten sowie zur Registrierung letzterer gefordert, um die Vorteile und Risiken der Behandlungen auf Cannabinoid-Basis besser bewerten zu können. Für sinnvoll hielten die Experten eine Behandlung mit Cannabis in folgenden Fällen:

  1. beim Nichtansprechen auf Schmerzmedikamente
  2. bei bestimmten schweren Epilepsieformen
  3. zur Palliativbehandlung
  4. bei schmerzhafter Spastik infolge von Multipler Sklerose

Dass therapeutisches Cannabis zunächst nur versuchsweise in Frankreich eingeführt wird, hat vor allem einen Grund: Es soll helfen, echte Erfahrungen mit einem festen System zur Verschreibung und Ausgabe zu sammeln sowie auszuwerten und zu beobachten, wie das Gesundheitspersonal und die Patienten die neuen Vorschriften annehmen. Zudem sollen bei dieser experimentellen Anfangsphase auch erste Informationen über die Wirksamkeit und Sicherheit von Medizinalhanf gesammelt werden. Die Agentur hat sich hierfür für die Gründung eines multidisziplinären wissenschaftlichen Komitees ausgesprochen, das sich sowohl aus Patientenvertretern als auch aus medizinischen Fachkräften zusammensetzen und so Einblicke in die Entwicklung der Initiative geben soll. Bislang ist zwar noch nicht bekannt, wann die ersten experimentellen Behandlungen anlaufen sollen, die ANSM hat sich jedoch im Juni in einer Mitteilung auf ihrer Website öffentlich verpflichtet, gemeinsam „mit den verschiedenen zuständigen staatlichen Dienststellen die technischen Einzelheiten für den Beginn des Experiments vorzubereiten".

Legalización Cannabis Francia Portada L'Obs, tribuna del CAE

Fakt 2 – Man ergreift vielerorts Partei für die „grüne" Sache: 70 Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Medizin sprechen sich in L'OBS für die Legalisierung von Marihuana aus

Insgesamt 70 Fachkräfte aus Politik, Wirtschaft und Medizin haben den Aufruf zur Legalisierung der Cannabispflanze unterzeichnet, der am 19. Juni unter dem Titel „Warum wir Cannabis legalisieren wollen" im Wochenblatt L'OBS veröffentlicht wurde. Ihr Appell ging sogar in die Titelseite ein, auf der groß „Cannabis – legalisieren wir es endlich!" zu lesen war. Bei den Personen, die die Forderung unterzeichnet haben, handelt es sich dabei nicht um x-beliebige Fachkräfte, sondern um Mitglieder des sogenannten Conseil d'Analyse Economique (Dt.: Rat für Wirtschaftsanalyse), dem finanziellen Beratungsstab des französischen Premierministers Edouard Philippe, deren Meinung sicherlich stärker ins Gewicht fällt als die anderer Befürworter. Im in der Online-Ausgabe der Zeitschrift veröffentlichten Auszug finden sich einige der Argumente für die Regulierung.

Die neue Regelung, so wird betont, solle vor allem dem Schutz von Minderjährigen sowie der Garantie der öffentlichen Gesundheit und Sicherheit dienen, nachdem das Gesetz von 1970, das den Cannabiskonsum unterbinden sollte, angesichts der Tatsache, dass Frankreich in Sachen Marihuanakonsum der Spitzenreiter der EU ist, offensichtlich gescheitert sei. Cannabis ist nach Meinung der Experten weniger gefährlich als Alkohol, solange man bei Konsumbeginn bereits volljährig ist und das Gehirn schon voll entwickelt ist. Angesichts der Daten aus verschiedenen US-Bundesstaaten, wo Cannabis bereits zugelassen ist, sei überdies ein Rückgang der Kriminalitätsrate zu erwarten.

Fakt 3 – Man spricht am richtigen Ort darüber: Der Nationalversammlung wurde ein Gesetzentwurf zur Cannabislegalisierung vorgelegt

Am 20. Juni, einen Tag nach dem Appell in L'OBS, legte der Abgeordnete François Michel-Lambert aus der Partei UDE (Union des Démocrates et Ecologistes) in der Nationalversammlung einen Gesetzentwurf zur Cannabislegalisierung vor. Der Vorschlag, den nur 14 Abgeordnete (aus vier verschiedenen Gruppierungen) von den insgesamt 577 im französischen Repräsentantenhaus unterstützen, hat ein klares Produktions- und Verteilermodell vor Augen: ein staatliches Monopol. Unter Berufung auf das Versagen der repressiven Politik gegen Cannabis plädiert der Entwurf für die Einrichtung einer nationalen Institution zur Kontrolle des französischen Cannabismarkts, der sogenannten SECA (Société d'exploitation du cannabis, Dt.: Gesellschaft für Cannabisnutzung).

Der Vorschlag wurde bislang noch nicht weiter diskutiert; in Angriff nehmen will das Repräsentantenhaus die Frage der Marihuana-Regulierung aber auf jeden Fall. Sogar der Präsident der Nationalversammlung, Richard Ferrand, hat sich so bereit erklärt, Verhandlungen aufzunehmen, obwohl er später auch daran erinnerte, dass die Regierung momentan keine Gesetze zum Thema Cannabis verabschieden werde.

Fakt 4 – Ein Thema, über das nur sehr wenig berichtet wurde: Wird Paris zur Pilotstadt für die Legalisierung des Genussmittelkonsums für Erwachsene?

Während die Nationale Arzneimittelagentur den baldigen Start des Medizinalhanf-Experiments verkündete, diskutierte man im Stadtrat von Paris – auf Anstoß der Gruppe Radicaux de Gauche Centre et Indépendants (RGCI) – scheinbar über die andere Seite des Konsums: Cannabis als Genussmittel für Erwachsene. Einem Bericht des Tagesblatts Le Parisien vom 4. Juli zufolge prüften die Ratsmitglieder angeblich, ob man der französischen Regierung vorschlagen könne, in der Hauptstadt versuchsweise für Volljährige Cannabis als Genussmittel zu legalisieren. Die Frage sollte nach Angaben der Zeitung vor dem 11. Juli geklärt werden, allerdings gibt es bis jetzt – Wochen später – noch keinerlei offizielle Mitteilung über jedwede Entscheidungen des Rats.

Fakt 5 – Kleiner Vorgeschmack gefällig? Die Netflix-Serie Family Business handelt von einer Familie, die ihre Fleischerei nach der Legalisierung kurzerhand zum Coffeeshop umbaut!

Bis zur tatsächlichen Cannabislegalisierung in Frankreich gibt es noch durchaus Gesprächsbedarf, in der Fiktion zumindest ist sie aber längst Realität: In der neuen Netflix-Serie Family Business jedenfalls dreht sich alles um neue Geschäftsmöglichkeiten, die aus der Regulierung der Sativa-Pflanze im Hexagone erwachsen. Die französische Produktion erzählt die Geschichte einer Familie, die mit ihrer Fleischerei Miese macht und ihre Geldsorgen kurzerhand löst, indem sie von Fleisch auf Marihuana umsteigt.

Inspiriert vom Geschäftsmodell der holländischen Coffeeshops, die ihr Erstgeborener auf einer Reise nach Amsterdam kennengelernt hat, wechseln die Hazans die Branche und beginnen, Gras anzubauen. Die Eingebung kommt dem ältesten Sohn kurioserweise just, als er bei einem Spaziergang auf einer L'OBS-Titelseite liest, das Cannabis in Frankreich legalisiert wurde.

15/08/2019

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